Wenn Prof. Dr. Doris Samm einen Hörsaal betritt, ist es fast unmöglich, sie nicht auf Anhieb sympathisch zu finden. Unaufgeregt, kompetent und natürlich versprüht sie die Art Charme, die Durchsetzungsstärke und Freundlichkeit zugleich verspricht. Ein Versprechen, das sie in 30 Jahren Lehre und Forschung an der FH Aachen gehalten hat. Doch die Verbindung zu „ihrer“ Hochschule beginnt deutlich früher. Am 1. September 1971 schreibt sie sich in Jülich für das Fach Chemieingenieurwesen ein. Sie hat die Entwicklung der ehemaligen Ingenieurschule zur Fachhochschule von der Gründung an miterlebt und mitgestaltet. Erst als Studentin, dann als Lehrbeauftragte am Campus Jülich, später als Professorin, zweimal sogar als Prorektorin und einmal als kommissarische Gleichstellungsbeauftragte. „In diesem Amt habe ich das erste Mal wirkliche Einblicke in die Hochschulleitung bekommen.“ Nur für ein weiteres Studium nahm die FH-Laufbahn einen kleinen Schlenker: „Mit 23 Jahren habe ich dann mit dem Physikstudium an der TH angefangen. Eigentlich bekloppt, aber Physik war immer meine Leidenschaft.“
Wenn sie von ihrem Leben erzählt, verknüpft sie eindrucksvoll die einzelnen Karrierestufen mit persönlichen Eindrücken und Motivationen. Daher ist es nicht tragisch, dass kein altes Foto aus ihrer Studienzeit existiert. Die Begründung ist schlicht und lässt erahnen, dass die Zeiten nicht immer einfach waren: „Analoge Fotografie waren damals ziemlich teuer. Zu dieser Zeit konnten wir uns das nicht leisten“, erklärt sie.
Ich war im Mutterschutz zu Hause in unserer damaligen Wohnung und erwischte mich dabei, eine Gardine sorgfältig in Falten zu legen. Da wurde mir klar, das will ich nicht.
Mit „uns“ sind ihr Ehemann und sie selbst gemeint. Die beiden haben sich auf einer Studierendenparty kennengelernt, verliebt, später geheiratet und nun feiern sie ihre goldene Hochzeit. Gleich zwei fünfzigste Jubiläen. Zwei Welten, die stets parallel funktionierten und in ständiger Wechselwirkung standen und stehen. Prof. Samm schaut heute gerne auf dieses erfüllte Leben zurück, obgleich ein Hauch Wehmut das Gesagte umgibt. Seit Kurzem ist sie im Ruhestand und die neu gewonnene Zeit ist noch ungewohnt, eine Woche ohne Termine gab es bisher nicht. „Wir haben immer gearbeitet. Auch als unsere beiden Töchter noch klein waren.“ Es gab einen Schlüsselmoment, der ihr zu einer entscheidenden Erkenntnis verhalf: „Ich war im Mutterschutz zu Hause in unserer damaligen Wohnung und erwischte mich dabei, eine Gardine sorgfältig in Falten zu legen. Da wurde mir klar, das will ich nicht.“ Sie wollte forschen und neues Wissen erlangen. Auch die finanzielle Autonomie spielte eine Rolle. „Wenn ich mich von einem Mann abhängig mache, dann bitte nur emotional.“
Der Weg in die Wissenschaft zeichnete sich bereits früh ab. Schon als Schülerin interessierte sich die heutige Wissenschaftlerin besonders für den Chemieunterricht. Endgültig um sie geschehen war es, als der Atomaufbau behandelt wurde. „Da war klar, wo die Reise hingeht“, erklärt sie und lächelt. Kurz darauf zieht sie eine Halskette aus der Ledertasche auf ihrem Schoß. Die aufgefädelten grünen Steine lassen den Laien an Smaragde denken. „Das ist Olivin“, erklärt sie, „ein vulkanisches Gestein, das bei Eruption in Form von Steinbomben an die Erdoberfläche befördert wird.“ Die Kristalle, die häufig als Heil- und Schmucksteine verwendet werden, beschäftigen die Forscherin bereits während ihrer Diplomarbeit in Jülich. Zur Schatzsuche begibt sie sich bis heute immer wieder gern in die Eifel. „Man muss nur wissen, wo man suchen soll“, erklärt sie. Doris Samm weiß aber nicht nur, wo Steine zu finden sind, sondern auch, wie man sie aus dem Weg räumt. 1971 war die Wissenschaft noch nicht bereit für Frauen. Auch wenn das umgekehrt schon längst der Fall war. Zwar war der Anteil weiblicher Studierender im Studiengang Chemieingenieurwesen für damalige Verhältnisse recht hoch, der der Professorinnen dagegen kläglich. „Ich selbst hatte zum Glück nie das Gefühl, ich würde aufgrund meines Geschlechts benachteiligt. Eine Studienkollegin hingegen wurde einmal von einem Professor mit den Worten geschockt, sie habe hier nix zu suchen und gehöre in die Küche.“
„Schon komisch, wieder hier in der Hochschule zu sitzen“, sagt sie und nippt an einem Glas Wasser. Bis Herbst 2020 war sie noch Rektoratsmitglied und Prorektorin für Forschung und Innovation. Dieses Amt bekleidete sie stolze zwei Male. „Beim ersten Mal (vielleicht?) als Quotenfrau“, erzählt sie schmunzelnd. Beim zweiten Mal, weil sie sich bereits bewährt hatte.
Bildreferenzen:
FH Aachen I Arnd Gottschalk
FH Aachen I Björn Richardt