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"Es kommt auf die Köpfe an"

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Es liegt ein Hauch von Ewigkeit in der Luft. Um eine Geschichte über Namibia zu erzählen, ist kein Ort besser geeignet als Sossusvlei, 400 Kilometer südwestlich von Windhoek inmitten des Namib-Naukluft-Nationalparks gelegen. In der Salzpfanne des Sossusvlei stehen abgestorbene Akazienbäume, teils mehr als 500 Jahre alt. Einst floss hier, in der ältesten Wüste der Welt, der Tsauchab-Fluss, der über die Jahrhunderte immer mehr versandete und jetzt höchstens noch einmal in zehn Jahren Wasser führt. Ein bizarres, fast surreales Bild: Die Geisterbäume ragen aus dem rissigen, verkrusteten Boden, umgeben von leuchtend roten Sanddünen, über ihnen der endlose Himmel.
Namibia liegt im Süden Afrikas, umgeben von Angola im Norden, Botswana im Osten und Südafrika im Süden. Das Land ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland, auf den 824.116 Quadratkilometern Fläche wohnen gerade einmal 2,4 Millionen Menschen. Die größte Herausforderung ist das Wasser – nicht nur für die Akazien in Sossusvlei, sondern auch für Mensch und Tier. Seit Jahren gehen die Niederschläge zurück; es gestaltet sich im ganzen Land immer schwieriger, die Wasserversorgung sicherzustellen. Eine spannende Aufgabe für Bauingenieurinnen und Bauingenieure – genau wie andere Bereiche der Infrastruktur, etwa Straßen, Eisenbahnen, Energie und Wohnungsbau.

Prof. Krause an der NUST
Prof. Dr. Thomas Krause bei einer Lehrveranstaltung in Windhoek

Hier kommt die FH Aachen ins Spiel: Seit 13 Jahren gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Namibia University of Science and Technology (NUST, früher Polytechnic of Namibia) und der FH. „Es kommt auf die Köpfe an“, sagt Prof. Dr. Thomas Krause vom Fachbereich Bauingenieurwesen, der das Austauschprojekt von Beginn an betreut. Und das gleich im doppelten Sinne: Zum einen lebt eine Kooperation wie diese von den Menschen, die sie mit viel Enthusiasmus und Begeisterung vorantreiben. Zum anderen ist es für Namibia von essentieller Bedeutung, dass gut ausgebildete junge Leute Verantwortung übernehmen und sich mit Herz und Verstand für die Entwicklung ihres Landes einsetzen.

Prof. Kamara
Prof. Dr. Victor Kamara hat die Kooperation von FH Aachen und NUST entscheidend geprägt

„Wir möchten nicht nur, dass unsere Studierenden den Stoff beherrschen; wir wollen, dass sie lernen ihn systematisch anzuwenden.“

Prof. Dr. Victor Kamara

70 Studierende sind seit 2006 aus Windhoek an die FH Aachen gekommen, etwa 60 FH-Studierende haben den umgekehrten Weg gewählt – sei es für ein oder zwei Austauschsemester, für ein weiterführendes Studium oder für ein Industriepraktikum. „Seit 2018 haben wir sogar ein Double-Degree-Abkommen im Bauingenieurwesen“, betont Prof. Krause. Die Studierenden machen erst ihren Bachelor an der Heimathochschule und gehen anschließend für zwei Semester an die Partnerhochschule, um auch dort einen Bachelorabschluss zu erwerben. Auf Seiten der NUST wird der Austausch von Prof. Dr. Victor Kamara vom Department for Civil and Environmental Engineering koordiniert. „Wir möchten nicht nur, dass unsere Studierenden den Stoff beherrschen“, betont er, „wir wollen, dass sie lernen ihn systematisch anzuwenden.“ Das Bauingenieurwesen sei wie geschaffen für internationale Austauschprogramme. Die theoretischen Grundlagen seien überall auf der Welt gleich, die praktische Anwendung hingegen sei höchst unterschiedlich. „Wasser und Strom kommen nicht aus der Luft“, sagt er, „nur wer unterschiedliche Lösungsansätze kennt, kann den besten wählen.“

Beatha Nakamela
Beatha Nakamela ist voll des Lobes über die Kooperation

„Ich habe mich immer wie zu Hause gefühlt.“

Beatha Nakamela

Beatha Nakamela hat 2014 den Bachelor of Engineering an der Universität in Namibia gemacht, im Anschluss absolvierte sie ein Masterstudium an der FH Aachen. Nach dem Abschluss kehrte sie in ihre Heimat zurück, heute lehrt sie selbst an der NUST. „Eine unglaublich wichtige Erfahrung“ sei ihr Aufenthalt in Deutschland gewesen, erzählt sie. Sie ist voll des Lobes über die gute Betreuung an der FH – durch die Kolleginnen und Kollegen des Fachbereichs Bauingenieurwesen, aber auch durch das Akademische Auslandsamt. „Ich habe mich immer wie zu Hause gefühlt“, sagt sie.

Den umgekehrten Weg ist Lena Dolle gegangen. Sie hat ihr Bachelorstudium an der FH Aachen absolviert, entschied sich dann im Alter von 23 Jahren, ein Praxissemester in Namibia zu machen. Das war vor drei Jahren – bis heute ist sie in dem südafrikanischen Land geblieben. Inzwischen arbeitet sie in einem Ingenieurbüro mit Sitz in Windhoek. „Meine Aufgabe ist die Bauüberwachung für ein großes Siedlungsprojekt auf einer Weintraubenfarm“, erzählt sie, alle zwei Wochen fährt sie von Windhoek aus 900 Kilometer bis an den Orange River, direkt an der Grenze zu Südafrika. Auch ihren FH-Abschluss machte sie während ihres Aufenthalts in Windhoek. Prof. Krause erinnert sich: „Die Bachelorarbeit hat sie an der NUST geschrieben, das Kolloquium haben wir dann über Skype gemacht.“ Derzeit kann Lena Dolle sich nicht vorstellen, nach Deutschland zurückzukehren: „Es fühlt sich so gut an hier.“ Wer mit den Beteiligten des Austauschprojekts spricht, der hört immer wieder einen Ausdruck: „Wie eine große Familie“ sei das, was in den letzten 13 Jahren entstanden sei.

Unbezahlbare Erfahrungen

Prof. Krause erinnert sich: „Ich war 2006 zum ersten Mal in Namibia, damals für vier Wochen. Es war mein erster längerer Aufenthalt im Ausland.“ Die Ungewissheit wich schnell, bis heute war der 64-Jährige mehr als 20-mal in Windhoek – und fühlt sich dort inzwischen wie zu Hause. Er hält Vorlesungen an der NUST, betreut Studierende, pflegt das deutsch-namibische Netzwerk. „Wir haben in den letzten Jahren eine enge Zusammenarbeit aufgebaut, von der beide Seiten sehr profitieren“, betont er. Dies sei nur möglich gewesen durch die engagierte Arbeit vieler Kolleginnen und Kollegen, in Windhoek wie in Aachen. Zu nennen wären etwa Prof. Dr. Tjama Tjivikua, der mehr als 20 Jahre an der Spitze der namibischen Uni stand, der ehemalige FH-Dekan Prof. Dr. Karl-Jakob Dienst, Architekturprofessor Sigurd Scheuermann, die Mitarbeiter Norbert Kremer und Markus Theisen. Einen wichtigen Beitrag leisten auch die akademischen Auslandsämter beider Hochschulen. Theodora Nandjaa-Mweuta vom International Office der NUST betont: „Die Kooperation mit der FH Aachen ist eine der besten, die wir überhaupt haben. Die Erfahrungen aus dem Austauschprogramm sind unbezahlbar für unsere Studierenden.“ Die Absolventinnen und Absolventen würden vom Arbeitsmarkt regelrecht aufgesaugt.

Namib-Wüste
Unterwegs in Namibia

Auch das ist wichtiger Bestandteil der deutsch-namibischen Familie: enge Unternehmenskontakte. Herbert Lerch arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der südafrikanischen Baubranche, er ist derzeit Direktor bei Seelenbinder Consulting Engineers in Windhoek. „Wir haben nur gute Erfahrungen mit den Absolventinnen und Absolventen des Programms gemacht“, sagt er, „das sind echte Erfolgsgeschichten.“ Nach Jahren des Booms sei die wirtschaftliche Lage Namibias derzeit eher durchwachsen, was sich auch auf die Auftragslage am Bau auswirke. „Irgendwann müssen wir aus dem Tief auch wieder herauskommen“, sagt der Unternehmer, dessen Familie seit drei Generationen in Namibia lebt.

Vor allem die Wasserversorgung wird in den nächsten Jahren ein wichtiges Thema für die Baubranche vor Ort werden. Geplant ist unter anderem der Bau einer Meerwasserentsalzungsanlage an der Atlantikküste bei Swakopmund. Das Wasser soll dann über eine – noch zu bauende – Pipeline über Hunderte Kilometer ins Landesinnere gepumpt werden. Erschwert wird dieses Vorhaben durch die Höhendifferenz von rund 2000 Metern, die zwischen der Küste und der Hauptstadt Windhoek überwunden werden müssen. Auch aus diesem Grund glaubt Prof. Dr. Klemens Schwarzer vom Solar-Institut Jülich der FH Aachen, dass Vorhaben zur Grundwasserentsalzung eher erfolgversprechend sind. „Die ingenieurtechnische Herausforderung liegt hierbei darin, dass im Grundwasser mehr unterschiedliche Stoffe vorhanden sind, die herausgefiltert werden müssen“, erklärt er. In einem kleinen Projekt in Namibia hat er unter Beweis gestellt, dass solche Anlagen autark funktionieren können – ohne aufwendige Wartung, ohne Stromanschluss. Das Grundproblem aber bleibt: Durch die Dürre und verstärkte Wasserentnahme sinkt der Grundwasserspiegel. Infolgedessen steigt der Salzgehalt, die Aufbereitung wird aufwendiger.

Und auch in einem anderen Bereich gibt es deutsch-namibische Verbindungen – und zwar in einem, wo es weniger naheliegend erscheint: dem Holzbau. Derzeit sind vier FH-Studierende für ein Austauschjahr an der NUST, zwei von ihnen – Sonja Schimmelpfennig und Peter Nierderau studieren Holzingenieurwesen. Parallel zum Unibetrieb machen sie ein Praktikum in einem Holzbaubetrieb in Windhoek. Christian Hess hat sich mit seinen innovativen Konstruktionen aus Holz einen Namen im südlichen Afrika gemacht. Er stellt unter anderem dreidimensional gekrümmte Dachkonstruktionen aus Leimbindern her, die den deutschen Normen gerecht werden. Die Vermittlung des Praktikums kam zustande über Prof. Dr. Leif Arne Peterson, Professor für Holzingenieurwesen an der FH und selbst schon einmal für Vorlesungen zu Gast an der NUST.

NUST-Gebäude
Einfahrt zum Campus der NUST in Windhoek

Es kommt auf die Köpfe an. Mit dem gemeinsamen Austauschprogramm der FH und der NUST gewinnt Namibia vor allem eines: die Perspektive, die Geschicke des Landes in die eigenen Hände zu nehmen. Das Land ist noch jung, der Sprung in die Unabhängigkeit liegt gerade einmal 29 Jahre zurück. Im Windschatten der weltpolitischen Umwälzungen 1989 und 1990 streifte das Land nach zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg die Fesseln der südafrikanischen Besatzung ab, als letzte Kolonie in Afrika wurde Namibia am 21. März 1990 selbstständig. Prof. Dr. Tjama Tjivikua kann wie kaum ein zweiter diese Geschichte bildhaft erzählen. Er wuchs in den 1960er-Jahren als eines von zwölf Kindern der Familie in Katutura auf, einer Armensiedlung im Norden Windhoeks. „Die Südafrikaner haben die Einheimischen aus den Innenstädten vertrieben und in Townships umgesiedelt“, erinnert er sich. Der junge Mann kämpfte, schloss die Schule ab und ergriff schließlich die große Chance – er ging zum Studieren in die USA, wo er als Chemiker promovierte. Nach der Staatsgründung kehrte er zurück in seine Heimat, wo er im Auftrag von Sam Nujoma, dem Ex-Anführer der SWAPO-Rebellen und Präsident des neugegründeten Staates die Polytechnic of Namibia aufbaute und zu einer der führenden Universitäten in Afrika machte.

Sonnenuntergang in der Namib-Wüste
Namibia zieht Besuchende schnell in seinen Bann

Wer nachts in den namibischen Himmel schaut, kann – so scheint es zumindest – Millionen von Sternen erkennen. Die klare Luft, die endlose Weite, der Reichtum der Natur: Namibia ist ein Land, das uns Europäer sehr schnell in seinen Bann ziehen kann. Vor allem aber sind es die Menschen, die den Zauber dieses Landes ausmachen. Sie sind unglaublich herzlich und offen, sie geben Gästen das Gefühl zuhause zu sein. Allen Widrigkeiten zum Trotz sehen sie hoffnungsvoll in die Zukunft, und sie liefern damit den besten Beweis, dass es auf die Köpfe ankommt.

Webseite der NUST

Bild- und Videoreferenzen:

Arnd Gottschalk (Fotos), NUST (Video)

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